Lex Covid
Letzte Woche hat der Senat den Entwurf des „Gesetzes über einige Maßnahmen zur Minderung der Auswirkungen der Corona-Pandemie (SARS CoV-2) auf Beteiligte an Gerichtsverfahren, Geschädigte, Opfer von Straftaten und juristische Personen sowie zur Änderung des Insolvenzgesetzes und der Vollstreckungsordnung“ (kurz als „Lex Covid“ genannt) verabschiedet. Ziel dieses Gesetzes ist es, die Auswirkungen der durch die Behörden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie getroffenen Sofortmaßnahmen (nachfolgend „Sofortmaßnahme“) im privatrechtlichen sowie handelsrechtlichen Bereich wenigstens teilweise zu vermeiden. Nachstehend finden Sie die wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes.
1. Verzicht auf die Einhaltung von Verfahrensfristen
Lex Covid legt fest, dass, falls im Rahmen eines Zivil-, Verwaltungs-, Zwangsvollstreckungs-, Insolvenz-, Strafverfahrens, einer Gerichtsvollziehung oder eines Verfassungsgerichtsverfahrens eine Frist versäumt wird, das Gericht diese Versäumung erlassen wird (im Strafverfahren handelt es sich um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand), und zwar auch dann, wenn das Gesetz diese Möglichkeit sonst ausschließt. Auf die Einhaltung einer Frist kann jedoch nur unter der Voraussetzung verzichtet werden, dass die Versäumung aus einem entschuldbaren Grund erfolgt, der in einem durch die Sofortmaßnahme verursachten Hindernis besteht, welches den Verfahrensbeteiligten oder seinen Vertreter an dem entsprechenden Prozessschritt (Handlung) entweder vollkommen gehindert hat oder die Fristerfüllung erheblich erschwert hat, und dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb der in Lex Covid festgesetzten Frist gestellt wird. Die versäumte Handlung muss dabei mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden sein.
2. Beschlussfassung von Handelsgesellschaften
Während der Dauer der Sofortmaßnahme kann die Beschlussfassung juristischer Personen außerhalb der Sitzungen deren Organe, entweder unter Verwendung technischer Mittel (d.h. über das Internet – Skype, WebEx usw.) oder durch Beschlussfassung im Umlaufverfahren (per rollam), erfolgen, und zwar auch in dem Fall, wenn eine solche Möglichkeit im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung der Gesellschaft nicht vorgesehen ist.
Sofern das Gesetz oder die Gründungsdokumente keine Bedingungen für die Fassung von Fernbeschlüssen festlegen, werden diese im Falle des obersten Organs durch das Geschäftsführungsorgan der Gesellschaft, im Falle anderer Organe direkt durch das jeweilige Organ festgelegt. Solche Bedingungen müssen rechtzeitig vor der Beschlussfassung bekannt gemacht werden.
3. Amtszeit der Organmitglieder, Kooptation
Falls die Amtszeit eines Mitglieds eines gewählten Organs in einer Handelskorporation während der Dauer der Sofortmaßnahme oder innerhalb eines Monates nach dem auf ihre Beendigung folgenden Tag endet, wird seine Amtszeit für drei Monate nach Beendigung der Sofortmaßnahme verlängert. Die automatische Verlängerung der Amtszeit der Mitglieder der gewählten Organe findet jedoch keine Anwendung, falls sich das Organmitglied damit nicht einverstanden erklärt; der Widerspruch ist der juristischen Person noch vor Ablauf seiner Amtszeit zuzustellen.
Ist die Amtszeit eines Mitglieds eines gewählten Organs in der Zeit zwischen dem Tag der Annahme der Sofortmaßnahme und dem Tag des Wirksamwerdens von Lex Covid abgelaufen, wird die Amtszeit verlängert, falls sich das Mitglied mit der Verlängerung einverstanden erklärt und falls für dieses Mitglied in der Zwischenzeit kein anderes Mitglied bestellt wurde. Das Amt des Organmitglieds wird am Tag der Zustellung seiner Zustimmung zur Erneuerung des Amtes an die Gesellschaft erneuert und erlischt nach Ablauf von drei Monaten nach Beendigung der Sofortmaßnahme.
Des Weiteren ist die sog. Kooptation zulässig, d.h. die Bestellung eines Ersatzmitglieds durch die Mitglieder des jeweiligen Organs, falls deren Zahl nicht unter die Hälfte sinkt und falls alle Mitglieder zustimmen, und zwar auch in den Fällen, in denen eine solche Wahl nicht im Gesellschaftsvertrag oder der Satzung der Gesellschaft vorgesehen ist. Die Bestellung endet jedoch spätestens in der nächsten Sitzung des Organs, das zur Wahl oder Bestellung der „ordentlichen“ Mitglieder berechtigt ist.
4. Erörterung des Jahresabschlusses
Sollte die Frist zur Erörterung des Jahresabschlusses einer Handelsgesellschaft früher als drei Monate nach Beendigung der Sofortmaßnahme ablaufen, endet diese Frist frühestens drei Monate nach Beendigung dieser Maßnahme, spätestens jedoch am 31. Dezember 2020.
5. Insolvenzanträge, außerordentliches Moratorium, Unterbrechung der Umstrukturierung
Das Gesetz führt die Möglichkeit ein, die Erfüllung der Pflicht zur Stellung eines Schuldner-Insolvenzantags aufzuschieben. Ein Schuldner, der sich zum 12. März 2020 in keinem Vermögensverfall (aus irgendwelchen Gründen) befunden hat, ist in der Zeit vom Wirksamwerden des Gesetzes bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Beendigung oder Aufhebung der Sofortmaßnahme (spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 2020) nicht verpflichtet, einen Schuldner-Insolvenzantrag zu stellen, falls sein Vermögensverfall auf die ergriffenen Maßnahmen zurückzuführen ist.
Die Aussetzung der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags bezieht sich nicht auf diejenigen Personen, bei denen der Vermögensverfall bereits vor der Annahme der Sofortmaßnahme eingetreten ist oder wenn der Vermögensverfall nicht überwiegend durch einen mit der Sofortmaßnahme zusammenhängenden Umstand verursacht wurde, der den Schuldner an der Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen hindert oder diese Erfüllung erheblich erschwert.
Bis zum 31. August 2020 durch Gläubiger gestellte Insolvenzanträge bleiben unberücksichtigt (bewirken nicht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens).
Bis zum 31. August 2020 können Schuldner, die Unternehmer sind und sich zum 12. März 2020 nicht im Vermögensverfall befunden haben, beim Insolvenzgericht vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bzw. nach seiner Eröffnung auf Antrag eines Dritten einen Antrag auf außerordentliches Moratorium stellen. Ein außerordentliches Moratorium wird durch das Gericht für eine Dauer von drei (ohne die Zustimmung der Gläubiger) bis sechs (mit Zustimmung der Gläubiger) Monaten genehmigt. Während der Dauer des Moratoriums darf der Schuldner nicht insolvent erklärt werden.
In der Zeit nach der Stellung eines Antrags auf außerordentliches Moratorium muss der Schuldner alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um die Gläubiger so weit wie möglich zu befriedigen und dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger vor eigenen Interessen sowie den Interessen Dritter den Vorzug geben.
Lex Covid legt ferner fest, dass in Insolvenzverfahren, in denen zum 12. März 2020 ein Umstrukturierungsplan rechtskräftig genehmigt wurde, der noch nicht vollkommen erfüllt wurde, der Schuldner berechtigt ist, in der Zeit zwischen dem Wirksamwerden des Gesetzes und der Beendigung oder Aufhebung der Sofortmaßnahme beim Insolvenzgericht die Entscheidung zu beantragen, dass der Schuldner berechtigt ist, die Durchführung des Umstrukturierungsplans vorübergehend auszusetzen, und zwar spätestens bis zum 31. Dezember 2020. Während dieser Zeit darf die Umstrukturierung nicht in Konkurs umgewandelt werden.
6. Einstweilige Einstellung der Mobiliarvollstreckungen und Immobiliarvollstreckungen
Das Gesetz sieht vor, dass keine Vollstreckungen in bewegliche Sachen durch Versteigerung (Mobiliarvollstreckung) bis zum 30. Juni 2020 vorgenommen werden. Dies gilt nicht, wenn sich der Schuldner (der Verpflichtete) damit einverstanden erklärt oder wenn es sich um eine Unterhaltsforderung bzw. eine Forderung auf Ersatz eines durch Körperverletzung bzw. andere vorsätzliche Straftaten verursachten Schadens handelt. In einem solchen Fall können Mobiliarvollstreckungen fortgesetzt werden.
Vollstreckungen in unbewegliche Sachen durch Versteigerungen werden gemäß Lex Covid ebenfalls bis zum 30. Juni 2020 eingestellt, jedoch lediglich in Bezug auf Immobilien, in denen der Schuldner seinen ständigen Wohnsitz hat. Auch hier gilt es nicht, wenn der Verpflichtete der Fortsetzung der Vollstreckung zustimmt oder wenn es sich um eine Unterhaltsforderung oder Forderung auf Ersatz eines durch Körperverletzung oder andere vorsätzliche Straftaten verursachten Schadens handelt. In solchen Fällen können Vollstreckungen in unbewegliche Sachen durch Versteigerung fortgesetzt werden.
7. Begrenzung der Höhe des vertraglichen Verzugszinses
Lex Covid verbietet vertragliche Verzugszinsen über den aktuellen jährlichen gesetzlichen Verzugszinssatz hinaus, und zwar bis zum 30. Juni 2020. Diese Einschränkung betrifft jeden Verzug, in den ein Schuldner nach dem 12. März 2020 geraten ist, falls der Schuldner nachweist, dass die sich aus der Sofortmaßnahme ergebenden Einschränkungen ihn an der Erfüllung der Zahlungsverpflichtung gehindert oder diese Erfüllung erheblich erschwert haben. Diese Regel findet jedoch keine Anwendung auf Verbindlichkeiten aus nach Wirksamwerden des Gesetzes geschlossenen Verträgen.